T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem: »Das Zünglein der Waage«, 1936

von Mirko Schädel


Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem: Das Zünglein der Waage, Dresden: Seyfert 1936, 319 Seiten, unleserliche Signatur auf dem Schutzumschlag


Eufemia von Adlersfeld Ballestrem, 1854–1941, war Mitglied der Akademie Arkadia Rom und Ehrenmitglied der Société Archéologique de France, darüberhinaus stammte die resolute Dame aus adliger Familie und war nicht auf den Mund gefallen. Wir wissen aus verschiedensten Quellen, daß in den vornehmen und dinstinguierten Kreisen des Adels teilweise durchaus ein rüder Ton herrschte, den Tante Femi, wie Verwandte Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem liebevoll nannten, offenbar selbst pflegte und in ihren Romanen in Anwendung brachte.

Das Zünglein der Waage beginnt etwas zäh im Stil einer Komödie der 1930er Jahre. Die Dialoge sind gespickt mit lateinischen und französischen Zitaten, aber auch deutsche Sprichwörter finden sich zuhauf, so daß sich die Autorin und ihre humanistische Bildung darin spiegeln. Das ist auch das Problem der Dialoge, die gesetzt und gefeilt sind, und vor allem der berühmte Detektiv Dr. Franz Xaver Windmüller und sein Adlatus Hans Styx von Ulster bedienen sich dieser komödiantischen, etwas altertümelnd verschwurbelten Dialoge in einer Weise, daß die beiden Charaktere kaum noch unterscheidbar sind. Für manche Leser wird ein solcher Text unlesbar sein, ich bin zumindest in der Lage derartigen Ballast auszublenden – und der Leser wird belohnt, denn nach rund 100 Seiten beginnt der eigentliche Kriminalroman mit dem obligaten Mord.

Windmüller ist auf der Reise zu seinen Freunden, dem Grafen Sennheim und seiner Gattin, im Schloß Hohenplaneck, wo in den nächsten Tagen eine größere Festivität stattfinden soll und sich allerlei Nachbarn einstellen werden. Hans Styx, ein angehender Diplomat, ist eine Zufallsbekanntschaft Windmüllers, den er im Zug kennengelernt hatte und der offenbar in eine junge Dame verliebt ist, die im Schloß Hohenplaneck zu Gast ist. WIndmüller befindet sich zur Zeit in einem Erholungsurlaub und hat keine Lust sich berufliche Verpflichtungen aufzuhalsen.

Die beiden Herren werden herzlich empfangen, sind doch Graf Sennheim und seine Gattin nicht nur alte Freunde, sondern auch Verwandte, da Windmüller eine von Sennheim geheiratet hatte, die bereits im Schloß Hohenplaneck auf die Ankunft ihres Gatten wartet.

Soweit so gut. Die Vorbereitungen für das alljährliche Fest laufen auf Hochtouren. Es finden diverse harmlose Belustigungen statt. Unter anderem eine theatrale Aufführung der Grimm‘schen Märchen in Form lebender Bilder. Dabei spielt Dornröschen naturgemöß eine wichtige Rolle.

Ein einsiedlerischer Nachbar und Geizhals, ein ebenso rauer wie ungehobelter Geselle, namens von Trostberg wird auch auf dem Fest erwartet. Dieser stattliche Riese hatte sich mit seiner Familie überworfen, sein einziger Verwandter ist ein Neffe, den er nie gesehen hatte und dessen Gattin. Sennheim betrachtet es als seine Pflicht zu helfen die alte Familienfehde beizulegen. Von Trostberg lebt mit seiner einzigen und noch unererfahrenen Tochter auf seinem Schloß, und es gelingt dem Grafen Sennheim von Trostberg für die Teilnahme an der Festivität zu überreden. Auch informiert Graf Sennheim den Herrn von Trostberg, daß dieser dort auf seinen einzigen lebenden Verwandten Prof. von Trostberg stoßen wird. Die Gattin des letzteren ist eine Halbägypterin namens Kleo von Trostberg, deren Konterfei stark an Kleopatra erinnert, und die mit ihrem stereotypen Lächeln Rätsel aufgibt. Kleo von Trostberg ist Apothekerin, die erst im Alter von 15 Jahren in die germanischen Gefilde umgetopft wurde und somit für die anwesenden Provinzler ein Stein des Anstoßes darstellt. Man rätselt nun darüber, ob es sich bei ihr um eine Negerin handeln könnte, oder ob die Hautfarbe mehr bräunlicher Art sei usw.

Hans von Stxy, der aus Liebe seine diplomatische Laufbahn aufgeben möchte und bei Windmüller als Nachwuchsdetektiv in die Lehre geht, ist die Ägypterin seit ihrem ersten Erscheinen ein Dorn im Auge, er hält die Dame für subtil und also für gefährlich. Windmüller kann sich vorerst kein Urteil bilden, denn er hat die Dame lediglich gesehen, aber noch kein Wort mit ihr gewechselt.

Als der Moment der Wahrheit kommt, nämlich die Aufführung der Grimm’schen lebenden Bilder, wird die unscheinbare und völlig unschuldige Tochter des bärbeißigen Einsiedlers von Trostberg zum Dornröschen auserkoren, deren Aufgabe lediglich darin besteht in einem gläsernen Sarg wie tot zu liegen und sich von den sieben Zwergen auf die Bühne tragen und wieder entfernen zu lassen.

Doch gerät dieses theatralische Bild etwas aus den Fugen, denn tatsächlich ist das junge Mädchen bereits tot, vielmehr ermordet worden, als es auf die Bühne getragen wird – nur fiel das selbstverständlich niemandem weiter auf. Erst zurück in der Umkleidekabine bemerkt eine Dame, daß das Dornröschen nicht mehr unter den Lebenden weilt und informiert umgehend Dr. Windmüller, der sich selbstverständlich auch im Interesse des Grafen Sennheims des Mordfalles annimmt. Die Ermordete wurde mit Chloroform betäubt und dann mit einer Blausäure-Einspritzung undilettantisch ins Jenseits befördert. Allerdings hatte die junge Dame, das Mordopfer, wohl kaum irgendwelche Feinde, und niemand kann es sich erklären, wie es zu diesem Verbrechen gekommen sein mag. Ein Motiv ist weit und breit nicht zu entdecken.

Allerdings reagiert der Vater von Trostberg etwas ungehalten über den Tod seiner Tochter, doch offenbar bereitet ihm das meiste Kopfzerbrechen die kostenintensive Bestattungszeremonie seiner verstorbenen Tochter. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er mit der jungen Frau seines Neffen, Frau Prof. Kleo von Trostberg, angebandelt hat. Der alte von Trostberg scheint ganz verliebt zu sein in diese exotische Dame. Auch wird sie umgehend in das Schloß der von Trostbergs geladen, während ihr Gatte Prof. Trostberg aus beruflichen Gründen zurück in sein Heim eilt.

Natürlich wurde die Polizei benachrichtigt, auch Ärzte, die den Todesfall untersucht haben, doch erzählt uns die Autorin lediglich von den Fortschritten Windmüllers, während die Ermittlungen der Polizei offenbar keinerlei Rolle spielen. Lange tappen Windmüller und sein neuer Adlatus Hans Stxy von Ulster im Dunkeln, doch eines Tages schließt sich Windmüller der Voreingenommenheit von Hans von Styx betreffs der exotischen Kleo von Trostberg an, denn Windmüller spielt den verdeckten Ermittler und belauscht ein Gespräch der Kleo von Trostberg mit einem Ägypter, das dubios und subtil gewesen zu sein scheint.

Darüberhinaus ist die Halbägypterin nicht nur ein außergewöhnlich hochnäsiges, freches Geschöpf, sie sucht auch bereits seit geraumer Zeit nach einem schwarzen Handtäschchen, das sie offenbar auf Schloß Hohenplaneck während jener Festivität verloren hatte und das auch bereits vom Personal gesucht, aber nicht aufgefunden wurde. Durch einen Zufall gerät am Ende des Romans Windmüller in den Besitz dieser Tasche und öffnet sie widerrechtlich. Dabei findet sich das Fläschchen Chloroform, eine Spritze und ein Behältnis mit Blausäure. Damit ist der Mord aufgeklärt, doch bevor Frau Prof. Kleo von Trostberg der Justiz überstellt werden kann, gelingt ihr die Flucht nach Ägypten.

Leider ist dem Leser von Anfang an klar, daß unsere Halbägypterin Kleo in das Verbrechen involviert ist, insofern stellt die Lösung des Falls keine Überraschung dar. Auch das Motiv, nämlich ihren Mann an die erste Stelle der gesetzlichen Erbfolge der von Trostbergs zu setzen und ihn damit zu einem reichen Gutsbesitzer zu machen, wird dem naivsten Leser bereits recht früh klar. Kleo hätte sicherlich als nächstes ihren galanten Erbonkel von Trostberg, den raubeinigen Einsiedler, ins Jenseits befördert, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Doch kam ihr Windmüller in die Quere, der durch seine Ermittlungen ihre Pläne zunichte machte.

Abgesehen von dem humanistischen Bildungsrepertoire der Autorin und der komödiantischen Note dieses Romans, ist die Vorhersehbarkeit des Romans sicher ein Manko. Dieses Buch ist ein Kind seiner Zeit, es blendet geflissentlich alle Gegenwartsbezüge aus und spielt trotzig in einem Milieu des Landadels, das Adlersfeld-Ballestrem sicher aus erster Hand kannte und in der sie selbst wohl auch eine bedeutende Rolle gespielt hat.