T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Gilbert Collins: »Die Jagd nach den Lichtsteinen«, 1925
von Mirko Schädel



Gilbert Collins: Die Jagd nach den Lichtsteinen, Dresden und Leipzig: Moewig & Höffner 1925, Kriminalromane aller Nationen Band 99, 200 Seiten, Umschlag gestaltet von R. Pfennigwerth


Ich besaß als Kind einen Adrees Hand-Atlas aus den 1880er oder 1890er Jahren, ein riesiges, schweres Buch, das die ganze Welt abbildete. Von besonderem Interesse für mich waren die weißen Flächen, die laut Legende unbekanntes Terrain darstellten, also Weltgegenden, die noch von westeuropäischen oder amerikanischen Geographen und Wissenschaftlern unberührt waren. Welch glorreiche Zeiten! Und welch hübsche Reflektionsflächen für eine kindliche, durchaus romantische Phantasie.

Gilbert Collins, 1890–1960, veröffentlichte The Starkenden Quest 1925. Die Jagd nach den Lichtsteinen ist dem Lost World-Genre zuzurechnen, deren populärster Vertreter Conan Doyles Die verlorene Welt darstellt. Der Roman beginnt in Yokohama in einer schäbigen Kneipe namens Gasthof zu den Vier Winden, wo der ehemals vermögende Brite Crayton nun völlig abgebrannt an der Bar hockt. Sein Vermögen ist durch den Zusammenbruch einer Bank verloren gegangen, vorher reiste er unbeschwert und mit den Taschen voller Geld durch alle Weltgegenden.

Schon nach kurzer Zeit verirrt sich ein weiterer Gast in die Kneipe, der kurz darauf von drei ankommenden Seeleuten angesichts seines affenartigen Aussehens beleidigt wird. Doch jener bärtige, seltsame Gast weiß sich mit einigen wendigen Schlägen zu wehren, so daß Craytons Gerechtigkeitssinn kurz aufscheint, dann aber durch die Ankunft japanischer Polizei wieder verglimmt.

Die Matrosen verziehen sich kleinlaut, die Polizei ebenso, so daß Crayton und der unbekannte Fremde ins Gespräch kommen. Der seltsame Gast stellt sich als Abel Starkenden vor, der für ein mysteriöses Geschäft noch gewandte, vertrauensvolle Mitstreiter sucht. Der einzige Haken an der Sache besteht jedoch darin, daß der Bewerber nicht über seine künftige Tätigkeiten informiert wird – und Crayton befürchtet in irgendeine kriminelle Machenschaft hineingezogen zu werden, doch Starkenden beschwichtigt ihn und erklärt, er sei selbst ein englischer Gentleman und würde für derartiges naturgemäß nicht zur Verfügung stehen. So läßt sich Crayton anwerben und erhält die Information, daß er sich am Abend um eine gewisse Uhrzeit in der und der Villa einfinden solle.

Starkenden verschwindet nach kurzer Verabschiedung und während Crayton noch seine Erlebnisse reflektiert, betritt ein alter Schulfreund die Kneipe, den es ebenso wie Crayton durch die Welt getrieben hatte, wo er einige unbefriedigende Geschäfte getätigt hatte und nun in einer ähnlich verzweifelten Lage ist wie Crayton. Jener alte Schulfreund namens Hope verabschiedet sich dann aber recht eilig, denn er habe noch eine geschäftliche Verabredung.

Gegen Abend begibt sich Crayton an die angegebene Adresse und landet vor eine in Dunkelheit gehüllte Villa. Ein Diener öffnet ihm und bittet um Geduld, Starkenden sei noch nicht wieder heimgekommen. Bald darauf erscheint ein weiterer Besucher in der lichtscheuen Villa, doch Crayton erkennt seinen alten Freund Hope, der ein ebenso geartetes Anwerbungsgespräch mit Starkenden geführt hatte – allerdings in einer anderen herabgekommenen Kneipe, die vor allem von Ausländern frequentiert wird.

Die beiden Freunde sind irritiert hier in der Dunkelheit zu sitzen und beschließen den Diener zu rufen um für Beleuchtung zu sorgen. Doch ehe der Diener sich der Sache annimmt, erscheint die Tochter Starkendens, eine junge, grazile Schönheit, die in jeder Beziehung für Licht sorgt. Dabei gibt es eine merkwürdige Irritation, denn Starkendens Tochter fällt in Ohnmacht, als sie an der Fensterscheibe draußen im Garten ein diabolisches Gesicht zu erkennen glaubt, das auch die beiden Freunde gesehen hatten, und das auf mysteriöse Weise wieder verschwindet.

Gleich darauf erreicht eine Botschaft von Starkenden die beiden Freunde, die von einem Boten überbracht wurde. Die Botschaft enthält Instruktionen, Starkenden wünscht, daß seine Tochter in die Obhut von Freunden gegeben wird, und daß die beiden Freunde um eine bestimmte Uhrzeit sich am Hafen einfinden um einen Dampfer zu erreichen.

Crayton und Hope führen die Wünsche Starkendens aus und landen zu der verabredeten Zeit auf dem Dampfer, wo sie einen völlig nervösen Starkenden antreffen, der den beiden Freunden die abenteuerliche Geschichte von den Lichtsteinen erzählt, die vor fast 1000 Jahren von einem Vorfahr von Starkenden aus Asien mitgebracht wurden. Auch ein dementsprechend alter Kompass befindet sich im Besitz Starkendens, der das Gerät den beiden Freunden vorführt – ebenso wie diesen Lichtstein, der aus sich selbst leuchtet und härter ist als Diamant. Auch berichtet er von frühen Aufzeichnungen und einer Karte, die um den Auffindungsort der Lichtsteine kreisen – sowie von Starkendens früheren Versuch, den er gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder vor 20 Jahren durchführte, aber gescheitert ist. Sein Bruder sei vermutlich in die Hände eines Schurken namens Coningham gefallen, der sich damals gewaltsam gegen Starkenden und seine Entourage gewendet hatte. Womöglich ist Starkendens Bruder auch von den dort lebenden, rätselhaften Eingeborenen gefunden worden und lebt heute noch in der Gefangenschaft derer.

Starkendens Absicht besteht also darin seinen möglicherweise noch lebenden Bruder zu suchen und zu befreien – und er will versuchen weitere jener Lichtsteine zu finden und die alte Familienlegende aufklären, doch gibt es ein Problem: Coningham, jenes Gesicht an der Scheibe, jener einst ins Vertrauen gezogene Kaufmann, der nunmehr größte Konkurrent Starkendens.

Crayton und Hope glauben nicht alles, was sie von Starkenden gehört haben und sind sich über dessen Rolle auch nicht ganz im klaren. Doch als sie Kobe erreichen, wo sie den Dampfer Richtung Hongkong wechseln wollen – aus Angst von Coningham verfolgt zu werden, erleben sie eine neuerliche Irritation. Dort besteigen sie den anderen Dampfer und sehen dabei zu wie ein weiterer Dampfer ablegt – auf dessen Deck sich Starkendens Tochter und Coningham befinden.

Starkenden hat die beiden Passagiere ebenfalls erkannt und ist hochgradig angespannt. Nun beginnt eine wilde Jagd Richtung Südostasien zu den Lichtsteinen, die irgendwo zwischen Thailand und Birma verborgen sein müssen. Die Truppe landet an und erkennt, daß Coningham mit Starkendens entführter Tochter wohl bereits angekommen sei, denn überall finden sich kleine Spuren und Hinweise ihres Aufenthalts. Starkenden wendet sich dort in der Nähe der Küste an einen riesenhaften Franzosen names Ducros, der sich dort vor den Behörden verborgen hält. Ducros schließt sich samt seines treuen Dieners dieser Verfolgungsjagd an. Tagelang geht es durch tropische Wälder und bergige Regionen bis die Gruppe endlich an einen mächtigen Fluß gerät, der ihrem Ziel recht nahe kommt.

Kurzum, Starkenden und seine Freunde erreichen das Gebiet der Lichtsteine, wo ein zwergenhaftes Volk lebt, das die Eindringlinge ohne großen Widerstand gefangen nimmt. Die Freunde finden sich in höhlenartigen Zellen wieder, wo sie auf einen alten irrsinnigen Mann stoßen, der wohl schon etliche Jahre dort verbracht hat und nur wirres Zeug brabbelt.

Coningham läßt sich die Gefangenen vorführen und erklärt, daß er selbst Starkendens Bruder sei, der von letzterem bitter betrogen wurde – aus Habgier. Nur Starkendens Tochter ist nicht sichtbar, sie wird offenbar an einem geheimen Ort festgehalten und soll einem höheren Zweck dienen.

Starkenden selbst ist empört, aber streitet jene Vorwürfe seines Bruders nicht ab. Überall in diesem Höhlensystem, in dem das zwergenartige, bepelzte Volk lebt, befinden sich Lichtsteine, die ein eigentümliches Licht verbreiten. Ducros, der Franzose, hat übrigens die Seiten gewechselt, er und Coningham/Starkenden scheinen gemeinsame Sache zu machen.

Dann erfahren die Gefangenen nach und nach weitere Details über diese Eingeborenen und daß es einen Nie-Sterbenden gibt, der in einer dieser Höhlen lebt, und der der religiöse Anführer jenes Volkes ist. Die Höhlen liegen nah an einem Fluß, der zur Regenzeit Hochwasser führt und gelegentlich die Höhlen zu überschwemmen droht, so daß der Nie-Sterbende die Zwerge auffordert Menschenopfer ins Feuer zu werfen um das Hochwasser abzuwehren. Eine Tradition, die hierzulande leider nicht mehr gepflegt wird.

Die Geschichte, so genial der Anfang auch war, verliert sich in einem Wirrsal von verstiegenen Wendungen und labyrinthischen Einzelheiten, die schlußendlich zu einer wilden Räuberpistole mutieren. Ducros wird seinerseits von Coningham abserviert und landet bei den anderen Gefangenen, doch diese schmieden bereits einen Plan um auszubrechen. Es kommt zu schlachtähnlichem Getümmel und dem Tod des Nie-Sterbenden, der offenbar mit diesem unerwarteten Tod mehrere Protagonisten von dem hypnotischen Einfluß des Nundoch-Sterbenden befreit, so daß selbst Coningham und Starkendens Tochter wieder zu ihrem eigenen Bewußtsein finden und sich der Rebellion der Gefangenen anschließen.

Allesamt kämpfen nun  in solidarischer Eintracht gegen die Übermacht des blutrünstigen Zwergenvolkes, und die anschließende Flucht der Europäer gelingt, wenngleich Ducros noch auf der Flucht an den Folgen dieses Kampfes stirbt. Am Ende gelangt die ganze Gruppe, die zwei Starkenden-Brüder, die sich gegenseitig verziehen haben; der irre, alte Mann, der 16 Jahre in der Höhle geschimmelt hatte und sich als amerikanischer Ethnologe entpuppt; Starkendens Tochter, die demnächst Hope zu heiraten beabsichtigt und Crayton, nach Yokohama, wo sie einige Lichtsteine, die sie vor Ort erbeutet hatten, gerecht unter sich aufteilen.

Die Jagd nach den Lichtsteinen ist ein phantastischer Abenteuerroman, der einen sehr effektvollen Einstieg hat und die schiere Spannung verheißt, doch gegen Ende des Romans hat der Autor nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft und seine Sorgfalt nimmt etwas ab. Die Konstruktion des Romans schwächelt gegen Ende, der Tonfall ist jedoch mitreißend und die Figuren interessant und lassen viel Spielraum für die Phantasie des Lesers. Aber die Wendungen sind derart zahlreich und immer weniger nachvollziehbar, so daß die Authentizität des Textes zunehmend gehemmt wird und damit auch ein Teil des Interesses des Lesers schwindet. Dennoch ist das Buch ein bemerkenswerter Abenteuerroman, der in einer klassischen und hochinteressanten Krimireihe erschienen ist. Die Übersetzung ist gelungen.

Der unbekannte Roman Der Smaragd von Jabalpur in der Übersetzung von Karl von Raesfeld ist in einem ähnlichen Tonfall gehalten und weist überhaupt gewisse Ähnlichkeiten mit diesem Abenteuerroman auf, doch ist Die Jagd nach den Lichtsteinen meiner Meinung nach schwächer.