T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Alice Campbell: »Hüte Dich vor Wasser«, 1939

von Mirko Schädel


Alice Campbell: Hüte Dich vor Wasser, Leipzig: Payne 1939, 444 Seiten, Schutzumschlag von Egon Pruggmayer


Alice Campbells Roman Hüte Dich vor Wasser, 1939, ist ein ausgezeichneter thriller, der die Erlebnisse der Kora MacNeill erzählt, eine junge Amerikanerin, die schon bessere Zeiten erlebt hatte. Kora lebt seit einiger Zeit in London und ist ziemlich abgebrannt, geradezu ausgemergelt, denn Sie lebt von der Hand in den Mund und weiß nicht wie sie ihre nächste Mahlzeit bezahlen soll. Kora studiert die Annoncen einer Zeitung und ist auf eine vielversprechende Anzeige gestoßen, die eine junge Gesellschafterin für eine ältere Dame sucht. Sie richtet sich etwas her und besucht das Hotel, in dem die alte Lady abgestiegen ist.

Miß Venables, eine alte englische Jungfer, sucht eine Gesellschafterin für ihre Reise und einen längeren Auslandsaufenthalt an der französischen Reviera. Kora macht sich keine großen Hoffnungen – ihr Selbstbewußtsein hat in letzter Zeit arg gelitten, doch wider Erwarten erhält sie den Job. Doch Miß Venables wartet noch mit einer Erklärung auf, die ziemlich mysteriös klingt. Die alte Dame ist der Meinung, daß Kora einen überaus aufrichtigen Eindruck macht und deshalb als Gesellschafterin die erste Wahl sei. Miß Venables erklärt, daß sie seit Monaten Drohbriefe erhalte, die sie sehr beunruhigen. Es handelt sich dabei um Morddrohungen, die jeden 17. des Monats bei ihr eintreffen und offensichtlich am selben Ort auf das Postamt gegeben wurden, an dem sich Miß Venables gerade aufhält. 

Darüberhinaus berichtet die sympathische Dame, die verständlicherweise äußerst nervös ist, daß ein guter Freund von ihr vor fast einem Jahr in ihrem Hotel in Südfrankreich einem Mordanschlag zum Opfer gefallen sei, doch die Öffentlichkeit und die Polizei behaupten, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Der gute Freund sei betrunken in einen altertümlichen Fahrstuhl gestiegen ohne zu bemerken, daß die Kabine sich in einem anderen Stockwerk befand. Er sei dann in den Fahrstuhlschacht gefallen und habe sich das Genick gebrochen. Kurz zuvor hatte der gute Mann noch einen Brief unter dem Türschlitz von Miß Venables Hotelzimmer geschoben, in der die alte Dame vor einem Komplott gewarnt wird. Doch leider ist das Schreiben derart allgemein gehalten, daß niemand sich auf diesen Brief einen Reim machen kann.

Die Atmosphäre des Romans ist bedrohlich und äußerst spannend. In der Folge werden weitere vier Menschen ins Jenseits befördert, wobei die Todesursache bis zum Schluß rätselhaft bleibt. Kora ist der alten Dame sehr dankbar und mutiert zu einer Detektivin, wenn sie nicht gerade mit ihren amourösen Abenteuern beschäftigt ist, denn der Neffe von Miß Venables, ein Sunnyboy und oberflächlicher Schönling namens Harry, wirkt sehr erfrischend auf die Psyche Koras – doch ebenso interessant ist der keineswegs hübsche Doktor Gilcrest, der sich äußerst unnahbar und geichgültig gegenüber der jungen Dame verhält. Übrigens vergaß ich zu erwähnen, daß auch zwei Hunde auf diabolische Weise ermordet wurden.

Kora ahnt, daß sie sich in Doktor Gilcrest verliebt hat, doch gleichzeitig wird sie von einem Verdacht um den rätselhaften Gilcrest beunruhigt. Gelegentlich neigt sich ihr Wohlwollen auch dem oberflächlichen Harry Venables zu, der so erfrischend geradeaus und redlich wirkt. Ein Stück Normalität strahlt Harry aus, doch weiß Kora, daß er ziemlich dumm ist, und das scheint Harrys Attraktivität nicht zuträglich zu sein. Kora kann sich nicht vorstellen, daß sie sich in einen oberflächlichen Dummkopf verliebt. Recht hat sie, dummen Menschen sollte man diesbezüglich grundsätzlich aus dem Weg gehen, sonst kommt es zur Katastrophe.

Wenn der Leser die Hälfte des Romans gelesen hat, dämmert es ihm, wer für die rätselhaften Morde verantwortlich ist. Doch Kora tappt vorerst weiter im Dunkeln, und erst nach einem ziemlich spektakulären und bedrohlichen Kapitel dämmert es Kora ebenfalls. Dabei spielt die Methodik der Morde eine erhebliche Rolle, denn es handelt sich um unnachweisbare Vergiftungen, die vor Gericht keinen Bestand und keinerlei Beweiskraft haben. Und so müssen andere Beweise und Zeugenaussagen her, die die Glaubwürdigkeit der Angeklagten untergraben.

Ich will hier nicht verraten was den Leser erwartet, denn dann wäre dieser spannende und atmosphärische Krimi nur halb so spannend. Ich kann nur noch mitteilen, daß die melodramatische Liebesgeschichte, die mit der Krimihandlung verwoben ist, schon allein einen Spannungsroman abgeben würde. Auch dieser Roman von Campbell liest sich wie ein Film von Hitchcock, der einen derartigen Stoff meisterhaft verfilmt hätte.

Das Buch erschien in einer namenlose Reihe des Payne Verlags, die überaus ambitioniert war. Neben zwei Titeln von Ethel Lina White und einem von Dorothy Sayers erschien nur noch Hüte Dich vor Wasser in dieser kleinen, exquisiten Reihe. Es ist rätselhaft, wieso diese Titel von der Nazideppenzensur durchgewunken wurden. Allerdings bemerkt man an dem umfangreichen Campbell-Band, der fast so dick wie ein Ziegelstein ist, daß die Qualität des Leinenbezugs zu wünschen übrig läßt und schon zu diesem Zeitpunkt von Mangelwirtschaft geprägt war.

Es gibt Passagen in dem Roman, die an die bedrückende Atmosphäre der Mysterys der viktorianischen Ära der 1870er Jahre erinnern, aber ebenso muß man an die Romane von Patricia Highsmith denken.