T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Austin J. Small: »Der Mann, der nicht zu fassen war«, 1930
von Mirko Schädel



Austin J. Small: Der Mann, der nicht zu fassen war, Leipzig: Ernst Oldenburg 1930, Meister des Kriminalromans Band 13, 252 Seiten, zwei Umschlagsvarianten, links die erste Auflage von Wernicke, rechts die zweite Auflage


Austin J. Small, 1894–1929, war ein britischer Krimi- und Science fiction-Autor, der schon in seinen 20ern Erzählungen und Romane für die frühen Pulps schrieb. Er starb 1929 in London durch Selbstmord. Seine in Amerika publizierten Werke zeichnete er mit seinem bürgerlichen Namen, während die in England publizierten Werke meist unter seinem Pseudonym Seamark erschienen sind.

Der Mann, der nicht zu fassen war, 1930, und der ebenfalls bei Ernst Oldenburg in Leipzig erschienene Kriminalroman Das schwarze Dreieck, 1931, sind phantastische Kriminalromane, genauer gesagt handelt es sich um Thriller, die stark mit Elementen der Science fiction angereichert sind. In Das schwarze Dreieck geht es um eine verrückte Verbrecherorganisation, die mittels bakteriologischer Waffen die Menschheit auslöschen will. Eine sympathische Idee, finde ich.

Der Held des Romans Der Mann, der nicht zu fassen war ist ein recht junger und erfolgreicher Erfinder namens Valmon Dain, der sich auf verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaft tummelt, denn seine Erfindungen sind sowohl in der Chemie als auch in der Technik angesiedelt.

Doch seit ein paar Monaten ist Dain etwas neben der Spur, denn er betätigt sich neuerdings als Detektiv, der Scotland Yard etwas auf die Sprünge hilft, da er eine neue bahnbrechende Erfindung auswertet, die offenbar eine totale, akustische Überwachung ermöglicht. Durch diese Erfindung ist Dain in der Lage Gespräche abzuhören, die im privatesten Umfeld stattfinden, und somit auch Gespräche zwischen Kriminellen. Und Dains hehres Ziel ist nichts weniger als die Ausrottung des Verbrechertums in London.

Sobald Dain auf sachdienliche Hinweise stößt um ein Verbrechen zu verhindern und die Kriminellen verhaften zu können, schreibt er einen anonymen, gesiegelten Brief an Scotland Yard, das dann seine Arbeit tut. Problematisch ist nur, daß Dain in eine junge Dame namens Mercia Lyall verliebt ist, und in Folge seiner Überwachung einer kriminellen Bande wird Valmon Dain auf den Vater seiner Geliebten aufmerksam, der offenbar eine führende Rolle innerhalb dieser Organisation einnimmt.

Tatsächlich warnt Dain anonym seinen möglicherweise künftigen Schwiegervater, aber aufgrund eines dummen Zufalls erfährt der alte Lyall, daß Valmon Dain die Warnung geschrieben hat und weiß nun, daß dieser junge Erfinder und mögliche künftige Schwiegersohn offenbar bestens über Lyalls kriminelles Doppelleben informiert ist. Lyall beschließt Dain zu töten, doch auch diese Information gelangt in Dains Sphäre, und so wird der alte Lyall Opfer seines eigenen Mordanschlags und stirbt.

Und das geschieht folgendermaßen: Dain wartet auf seinen Widersacher Lyall seelenruhig in seinem Haus und läßt letzteren durch ein Fenster einsteigen. Doch Dain hat dafür gesorgt, daß, nachdem Lyall in seine Wohnung eingedrungen ist, sich Türen und Fenster schließen und mit Starkstrom gesichert werden, und noch weiterer technischer Schnickschnack wartet auf um den Attentäter zu zähmen.

Als Lyall nun Valmon Dain ansichtig wird, bleibt letzterer ruhig und besonnen und erklärt Lyall, daß er seinen Mordversuch aufgeben solle, denn er habe keine Chance diesen durchzuführen – und selbst wenn, dann würde er der irdischen Gerechtigkeit nicht entkommen können. Außerdem arrangiert Dain eine unbeaufsichtigte Pistole auf einem Tisch, die allerdings so konstruiert ist, daß der Schütze selbst durch den Schuß getroffen wird, mit anderen Worten: das Ding geht nach hinten los. Dieses Spielzeug greift sich der mordgierige Lyall, er begreift seine prekäre Situation überhaupt nicht, oder will sie nicht begreifen und er legt mit dem Revolver auf Dain an und erschießt sich unbeabsichtigt damit selbst.

Kurz darauf verschwindet Dain aus seiner Wohnung, denn seit er diese seltsame Abhörapparatur erfunden hat, lebt er ohnehin ein Doppelleben, da er unter einem anderen Namen Geschäftsräume einer fingierten Im- und Exportfirma angemietet hat, in der er ganz allein mit seiner Erfindung die britischen Verbrechersyndikate abhört.

Währenddessen erfährt Dains Freundin Mercia von dem Tod ihres Vaters – und daß ihr Freund Dain ihn ermordet haben soll – doch obwohl schockiert, wird sie nicht völlig von Dains Schuld überzeugt sein. Darüberhinaus läuft ein Hehler durch London, der von der Polizei gesucht wird, und dieser Hehler weiß über Dains Aktivitäten bestens bescheid, kennt auch Dains Decknamen und Deckadresse – und dieser Kriminelle wendet sich an den Kopf der Bande, einen feinen Pinkel namens Graf Lazard, ein hoher Diplomat, der bereits von Lyalls mißglückten Mordversuch an Dain gehört hat.

Graf Lazard trifft denselben lächerlichen Entschluß wie Lyall, denn er eilt noch am Abend zu Valmon Dains Deckadresse um den Informanten Scotland Yards endlich das Licht auszublasen. Dain hingegen erwartet Graf Lazard bereits und verfährt ebenso raffiniert wie schon bei Lyalls Besuch, nur ist unser schlauer Graf geistig etwas wendiger und gibt sich – seine Unterlegenheit bitter anerkennend – geschlagen.

Graf Lazard legt wütend seine Giftpfeilpistole beiseite und wird im Gegenzug von Dain auf freien Fuß gesetzt. Dain verabredet sich mit dem haßverzerrten Grafen für den nächsten Abend bei jenem Hehler – und unser mordlüsterner Graf wittert eine Revanche für die Schmach, die er von Dain erlitten.

Aber auch für Valmon Dain wird es zunehmend unbequem, denn er steht immer noch auf der Fahnungsliste Scotland Yards wegen des Mordes an Lyall. Dain ist dem großen Verbrecherboß Graf Lazard immer einige Schritte voraus, nicht zuletzt durch seine Abhöranlage, aber nach und nach greift er selbst auch in verschiedenen Verkleidungen in die Geschichte ein.

Valmon Dain erfährt von einem geplanten Finanzbetrug Graf Lazards, und es gelingt ihm das Verbrechen zu verhindern und sich die Beweise zu verschaffen, die Graf Lazard hinter Gitter bringen sollen. Am Ende ruft Dain selbst die Beamten von Scotland Yard und übergibt ihnen die Beweise nebst den gänzlich bezwungenen Graf Lazard.

Der Roman hat ein paar wenige kleine Konstruktionsfehler und Ungenauigkeiten, ist aber beachtlich gut geschrieben, sehr spannend und unterhaltend. Small war um die 30 Jahre, als er recht produktiv war und auch diesen Roman veröffentlicht hatte. Dennoch fehlt es dem Autor an dem letzten Schliff, seine Charaktere sind ziemlich blaß und die Atmosphäre des Romans ebenso. Aber seine von ihm geschilderten Erfindungen, die für Dains Sicherheit sorgen sollen, sind famos – zum Beispiel Dains Blendapparatur, die den Gegner für Stunden oder je nach Dosierung auch lebenslänglich erblinden läßt, ist amüsant.

Vor allem aber seine große Abhöranlage, die auf das gesamte Fernmeldenetz zurückgreift und sämtliche Räume Englands, in denen sich ein Fernsprechapparat befindet, abhören kann. Das ist heutzutage nur mit den kriminellen Aktivitäten von Konzernen wie Google oder Amazon vergleichbar, die auf eine schier unbegrenzte Herde von Konsumenten zurückgreift – man kann in diesem Zusammenhang auch getrost von Schafen sprechen, die sich selbst freiwillig Sprachassistenten in die Wohnung stellen um sich kostenlos abhören zu lassen. George Orwell hätte an diesem Roman seine helle Freude gehabt.

Aber Dain zerstört am Ende seine Abhöranlage – zum Entsetzen der Beamten von Scotland Yard, denn unser Held weiß, welchen Schaden die Apparatur anrichten könnte, wenn sie in die falschen Hände geraten würde. Somit wäre Valmon Dain wohl kein Mitlied der FDP gewesen, die nämlich der Meinung ist, alle Probleme seien mit Hochtechnologie ausrottbar – was den Geisteszustand dieser Partei hinreichend ausleuchtet.

Letztenendes mußte ich nach der Leküre des Romans immer wieder an Francis Ford Coppolas Meisterwerk Der Dialog, 1974, denken – in diesem Film spielt Gene Hackman einen Abhörspezialisten, der bei seiner Arbeit zufällig auf irritierende Gesprächsfetzen stößt, die auf einen Mord verweisen. Da sieht man, was man aus diesem Thema alles machen kann.