T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Friedrich Thieme: »Durch wessen Hand?«, 1922

von Mirko Schädel


Friedrich Thieme: Durch wessen Hand?, Regensburg: Kösel & Pustet 1922, Haus-Schatz-Buch 8, 327 Seiten


Friedrich Thieme, 1862–1945, war ein deutscher Kaufmann, Schriftsteller und Redakteur. Er lebte zeitweise in Jena und starb in Stuttgart. Er schrieb zahlreiche Kriminalromane und Humoresken.

Durch wessen Hand? ist ein sehr solider und spannender Kriminalroman, den man guten Gewissens zu den besseren Erzeugnissen des Genres rechnen darf – das liegt zum einen an der sprachlichen Qualität, zum anderen an den Figuren, die nicht ganz so stereotyp geschildert werden, wie es in den meisten anderen zeitgenössischen Krimis gehandhabt wurde. Die Konstruktion des Romans ist verwickelt und bleibt doch übersichtlich und nachvollziehbar.

Das Buch spielt im Süden Thüringens. Ein Mann namens Georg Pöllnitz, vermögender Kaufmann aus Chemnitz, wird in einer Schlucht erschossen aufgefunden. Ein Selbstmord kann recht schnell ausgeschlossen werden, so daß der diensthabende Untersuchungsrichter Assessor Ullrich von einem Mord ausgehen muß.

Georg Pöllnitz war mit der gutsituierten und hinreißend schönen Isa von Mednau, der jungen Stieftochter des Oberkapellmeisters Rober, verlobt. Doch über den Toten ist nicht allzuviel bekannt. Isa von Mednau war noch kurz zuvor mit dem Ingenieur Wolfgang Born verlobt, scheint letzteren aber für das Vermögen von Georg Pöllnitz geopfert zu haben. Born scheint sehr unglücklich zu sein, daß seine Braut ihn verlassen hat.

Assessor Ullrich beginnt mit den Nachforschungen in Chemnitz, der Stadt, in der der tote Pöllnitz offenbar als reicher Kaufmann gewirkt hatte. Auch verfolgt er die Spur einer Dame, die in der Mordnacht unweit des Tatorts gesehen worden war – diese Spur führt ebenfalls nach Chemnitz. Ullrich findet die unbekannte Dame und erfährt von jener, daß Pöllnitz dieser jungen Schauspielerin namens Thekla die Ehe versprochen habe, dann aber spurlos verschwunden sei. Als eine Bekannte Theklas den Herrn Pöllnitz zufällig in Chemnitz gesehen hatte, gelingt es Thekla ihrem entlaufenden Bräutigam nachzustellen. Es stellt sich heraus, daß der reiche Kaufmann Pöllnitz ein nichtswürdiger Bigamist, Abenteurer und Sänger im Tingel-Tangel gewesen ist – und völlig mittellos nach einer reichen Braut Ausschau hielt. Diese reiche Braut wird Isa von Mednau gewesen sein, die ihren Verehrer offenbar nicht sehr geliebt hatte. Warum sich die junge Frau dennoch mit Pöllnitz verheiraten wollte, bleibt vorerst im Unklaren.

Assessor Ullrich läßt die bitter von ihrem Galan enttäuschte Thekla verhaften, doch schon bald wird auch der Ingenieur Born, der eifersüchtige, ehemalige Verlobte der Isa von Mednau, in Haft gesetzt, denn dieser konnte für die Mordnacht kein nachprüfbares Alibi vorweisen. Doch der fleissige Assessor erfährt, daß auch die schöne Isa von Mednau in der Mordnacht im Wald war und daß die aufgefundene Mordwaffe aus dem Besitz des Stiefvaters der Mednau stammt. Assessor Ullrich läßt nun auch Isa von Mednau verhaften.

Nun sitzen also drei Verdächtige in Haft und Assessor Ullrich strengt eine Vernehmung nach der anderen an. Langsam dämmert ihm, daß Thekla und Wolfgang Born unschuldig sind, doch auch an der Schuld Isa von Mednau beginnt er zu zweifeln – nicht zuletzt, weil er sich in die Dame unsterblich verliebt hat. Ullrich ahnt, daß diese Tragödie einen ganz anderen, noch unbekannten Ursprung hat – und daß er vorerst die Details um die Beziehungen von Georg Pöllnitz aufschlüsseln muß. Irgendein Detail, irgendein Geheimnis ist dem Assessor bislang unbekannt geblieben, doch sein Instinkt weist schon in eine neue Richtung.

Die Mutter der Isa von Mednau gerät in den Focus der Ermittlungen, denn diese nunmehr seit Tagen delirierende Patientin war vor achtzehn Jahren schon einmal in einen Mordfall verwickelt, nämlich als Angeklagte in einem Mordprozess um ihren ersten Gatten, der ebenfalls erschossen wurde. Und tatsächlich weist dieser alte Mordfall indirekt auf die Lösung des Mordfalls um den Schurken von Pöllnitz. Die tatsächliche Auflösung des Mordfalls beschreibe ich hier lieber nicht, doch kann ich noch soviel verraten: der Mord an dem Herrn Pöllnitz war reine Notwehr.

Am Ende herrscht Friede, Freue, Eierkuchen. Und wenn dieser Roman in gewisser Hinsicht recht moralisch und altertümlich daherkommt, ist er dennoch bereits ein recht moderner und nicht uninteressanter Kriminalroman, der den Autor von seiner besten Seite zeigt.