T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Louis Joseph Vance: »Die Schatzinsel«, 1911
von Mirko Schädel



Louis Joseph Vance: Die Schatzinsel, Stuttgart: J. Engelhorn 1911, Engelhorns Roman-Bibliothek Band 7/28, 159 Seiten


Louis Joseph Vance, 1879–1933, veröffentlichte Die Schatzinsel [Plunder Island] nicht als selbständige Buchveröffentlichung, der Text erschien lediglich in Zeitschriften um 1907. 

Die Schatzinsel, 1907, ist ein abenteuerlicher Spannungsroman. Cadogan nennt sich der Held der Geschichte und ist ein junger, gutsituierter Rechtsanwalt aus New York, der mit Terry, seinem irischen Faktotum, durch den Golf von Mexiko auf einem kleinen, aber feinen Schiff umhersegelt. Cadogan plant nach New Orleans zu schippern, wo er seinen besten Freund aufzunehmen gedenkt, anschließend wollen die zwei einige Zeit auf dem Wasser zubringen. Doch dazu wird es nicht kommen.

Cadogan wird aufgrund einer Flaute langsam unruhig, die Reise stockt, und in der Nacht legt er sich schlafen, doch findet er keine Ruhe. Stattdessen hört er Hilfe-Rufe, während sein Faktotum Terry an Deck die Nachtwache hält. Cadogan eilt an Deck und fragt Terry, ob er irgendetwas gehört habe, aber Terry verneint. Cadogan glaubt wieder Rufe zu hören, doch Terry behauptet nichts weiter hören zu können als die stillen Meeresgeräusche. Als Cadogan aber glaubt einen weiteren Hilferuf zu vernehmen, läßt er das Rettungsboot zu Wasser und die beiden rudern eine Strecke durch die Nacht. Sie finden überraschend eine junge Dame, die hilflos in einem Ruderboot das Wasser treibt. Die junge Dame namens Jane Todd wird von den beiden Herren in Sicherheit gebracht – und während der Rettungsaktion deuten einige Zeichen auf einen anbrechenden Sturm hin.

Jane Todd wird eiligst von Terry, dem irischen Diener und Mann für alle Fälle, verpflegt, dann eilt er auf Deck um Cadogan dabei zu helfen, daß Schiff auf den Sturm vorzubereiten. Der Sturm wird gewaltig und Cadogan hat Mühe das Schiff über Wasser zu halten. Terry wird dabei von Deck gespült, Cadogan stürzt sich in die tosenden Fluten und kann Terry gerade noch fassen, Cadogan ruft mit letzter Kraft um Hilfe und Jane Todd stürzt auf Deck und kann Cadogan helfen den bewußtlosen Terry an Deck zu hieven.

Darauf nimmt sich Jane des Steuers an, und später hat Cadogan die Gelegenheit Jane bei der Kunst des Manövrierens zu bewundern, denn die junge, hübsche Dame ist unweit auf einem nichtssagenden Eiland aufgewachsen, wo ihr Vater als Leuchtturmwärter tätig ist. Jane führt das schwankende Schiff durch die vorgelagerten Klippen dieser winzigen Insel, sie ankern in einer kleinen, ruhigen Bucht. Jane lädt die beiden Seemänner zu einem Abendessen beim Leuchtturmwärter ein. Und da Cadogan eine unbestimmte Zuneigung zu der feurigen Jane Todd gefaßt hat, und die beiden Herren eh den Sturm auf der offenen See abwarten müssen, beschließen sie die Einladung anzunehmen.

Die Insel erweist sich als langweiliges, winziges Eiland. Lediglich der Leuchtturm und ein scheinbar unbewohntes, altes Herrenhaus sind die einzigen Gebäude der Insel. Der alte Todd ist ein Hüne, ein großer, breitschultriger Mann, der jedoch von Krankheit und anderen Schicksalsschlägen gezeichnet zu sein scheint. Sein Gehilfe Willing, ein intelligenter Kerl, scheint eine zwielichtige Rolle zu spielen – und Jane hat wohl zu dem Mitarbeiter ihres Vaters wenig Vertrauen.

Während des abendlichen Gastmahls deuten bewegliche Lichtreflexe, die von den Fenstern des alten unbewohnten Herrenhauses herrühren, auf unbekannte Besucher hin. Nachdem sich Terry und Cadogan verabschiedet haben, findet Cadogan wieder einmal keinen Schlaf. Er glaubt im Gegensatz zu Willing nicht an Gespenster, die in der Nacht das einsame Herrenhaus heimsuchen. Die Lichter hinter den Fensters des Herrenhauses reizen Cadogans Phantasie. Er zieht sich wieder an und geht an Land um sich das Herrenhaus am frühen Morgen näher anzusehen. Es soll ein Schild vor dem Haupteingang angebracht sein, denn das Haus sucht einen neuen Besitzer. Er findet das Schild und liest von einem Rechtsanwalt in New Orleans, der das Haus im Auftrag zu verkaufen versucht. Doch dann schlägt jemand, vielmehr ein dämonisches Etwas, Cadogan nieder.

Im weiteren Verlauf wacht Cadogan auf seinem Boot am Morgen wieder auf, er eilt nach oben und Terry teilt ihm mit, daß ihr Ankerseil durchschnitten worden sei. Cadogan kann sich den Verlauf der vorangegangenen Nacht nicht erklären. Die beiden Männer befinden sich auf hoher See. Nach einigen Umwegen geraten sie nach New Orleans. Cadogan sinnt auf Rache für den Streich, den man ihm spielte. Aber sein Weg führt mehr oder weniger unbewußt zu jenem Rechtsanwalt. Tatsächlich findet er diesen in einem schäbigen Bureau, doch der Rechtsanwalt teilt ihm mit, daß das Haus am heutigen Tag, nachdem er zwanzig Jahre versucht hatte die Immobilie samt Insel zu verkaufen, auf einer Auktion meistbietend versteigert wird. Auch weiß der mitteilsame Anwalt von einem zweiten Interessenten zu erzählen – nachdem zwei Jahrzehnte niemand dafür Interesse zeigte – und eine weitere Bemerkung irritiert Cadogan. Denn der Anwalt erzählt etwas von einem Schatz auf der Insel, nachdem ihm Cadogan von seinem Besuch bei den Todds berichtet hatte.

Das alte Herrenhaus auf der einsamen Insel war ehedem von einem berüchtigten Piratenkapitän erbaut worden, der im gesamten karibischen Raum berüchtigt war. Auf der Straße begegnet Cadogan dann noch Willing, es kommt zu einem ungewöhnlichen Gespräch zwischen den beiden, das nicht gerade vertrauensbildend ist.

Aus Neugier besucht Cadogan die Auktion. Ein ihm äußerst unsympathischer Herr bemüht sich um die Ersteigerung der Insel und dem dazugehörigen Haus. Mehr als 3.500 Dollar ist das Anwesen nicht wert, bemerkt ein Anwesender hörbar. Als die Insel zu einem recht niedrigen Preis dem unsympathischen Bieter zugeschlagen zu werden droht, mischt sich Cadogan ein. Sein Vermögen beläuft sich auf rund 40.000 Dollar. Es kommt zu einem Bietergefecht, und am Ende wird Cadogan die Insel für 35.000 Dollar zugeschlagen. Ernüchtert von seiner unsinnigen Tat, kehrt Cadogan nun zur Insel zurück.

Sein Widersacher bei der Auktion sucht noch einmal das Gespräch, doch Cadogan glaubt, daß es in seinem Haus vielleicht doch einen Schatz geben könnte. Wer würde sonst einen so überhöhten Preis für ein abgetakeltes Haus im Nirgendwo zahlen wollen.

Er eilt mit seinem irischen Faktotum zurück auf die Insel. Dort überstürzen sich dann die Ereignisse. Cadogan will seinen Besitz aus der Nähe betrachten und die Gespenster, die sich offenbar dort niedergelassen haben, vertreiben. Jane Todd ist begeistert – und vor allem ihr Vater, denn es stellt sich heraus, daß der alte Todd der Besitzer der Insel war. Da er aber sein gesamtes Vermögen verloren hatte, ist er umso dankbarer für den hohen Preis, den Cadogan für das nahezu wertlose Eiland bezahlt hatte.

Schon beim Betreten seines Hauses wird ein Mordanschlag auf Cadogan verübt, jemand wirft ihm eine gefährliche Giftschlange vor die Füße, jedoch kann er den Feind nicht sehen. Dann nimmt er sein Haus in Augenschein. In der großen Halle wollen er und Terry campieren – unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen. Doch noch in der ersten Nacht werden die beiden Männer überfallen, geknebelt und auch der alte Todd wird mit einem Schlafmittel ruhig gestellt. Willing ist der Gauner, der den Schatz des Hauses allein heben will, doch hat er einen schwarzen Helfer, den er irgendwo aufgelesen und aufgepäppelt hatte.

Jane Todd flieht vor Willing in den Leuchtturm, der sie dort einschließt. Doch irgendwann beginnt sie sich um Cadogan zu ängstigen. Sie flieht aus dem Turm in einer waghalsigen Art und Weise, denn sie läßt sich mit einem Seil hinab in die Tiefe. Dann schleicht sie zum Herrenhaus. In der Dunkelheit kann sie Cadogan und Terry nicht sehen, doch hört sie Geräusche aus dem Kellergeschoß. Sie schleicht die Stufen hinab und sieht in einem Gewölbe Willing und einen schwarzen Helfershelfer vor einem riesigen Goldschatz. Auf dem Rückzug hört sie noch eine harsche Auseinandersetzung zwischen Willing und dem Schwarzen, der Streit eskaliert und sie hört Schüsse.

Oben entdeckt Jane den Gefesselten Cadogan und befreit ihn. Kurz darauf erscheint Willing, der offenbar verletzt ist und die Kellertür ängstlich hinter sich abgeschlossen hat. Doch auch der Schwarze konnte sich auf einem unbekannten Weg aus dem Keller befreien, stark blutend und mit einer Keule bewaffnet will er Rache nehmen an Willing. Willing weiß nicht, daß sein Widersacher sich befreien konnte. Er will sich Cadogan zuwenden, doch in diesem Augenblick wird die Keule des schwarzen Mannes geschwungen. Willing schießt noch auf seinen Widersacher, der tödlich getroffen zusammensackt. Doch die Keule trifft im gleichen Augenblick auf Willings Gesicht und dieser fällt in eine Bewußtlosigkeit. 

Cadogan befreit Terry von den Fesseln. Und Jane stellt fest, daß Willing kurz zuvor noch eine Laterne ins Fenster gestellt hat und glaubt, daß damit weitere Helfer Willings gerufen wurden. Weitere Abenteuer dieser Art sind zu bestehen, doch am Ende siegt die Liebe. Der alte Todd, Jane, Cadogan und Terry können mit einem Sack Juwelen aus dem Piratenschatz flüchten. Sie benachrichtigen die Polizei, die die Verschwörer und Kumpane von Willing noch auf der Insel verhaften, denn Cadogan hatte kurz vor der Flucht das Schiff der Verbrecher unbrauchbar gemacht. Der Rest des Schatzes wird gehoben und Cadogan und Jane leben gemeinsam in einem Haus im Norden.

Mal abgesehen von den Stereotypen, die der Autor ungehemmt in seinen Text einbaut, ist das Buch ein sehr spannender Abenteuerroman, der elegant und in einem zeitlosen Ton und einem überzeugenden Stil verfaßt ist. Die Übersetzung ist ausgezeichnet und das Buch appelliert an die Phantasie des Lesers auf eine erfreuliche Art. Tatsächlich erinnert dieser kleine Roman fern an Robert Louis Stevensons »Die Schatzinsel«. Die melodramatische Zuneigung zwischen Cadogan und Jane Todd ist erträglich. Die Hilferufe, die Cadogan am Anfang des Romans auf dem Wasser zu hören meint, hatte Jane gar nicht ausgestoßen, wie sie selbst behauptete. Es muß sich also um eine schicksalhafte Suggestion handeln, die Cadogan nach Jane Ausschau halten ließ. Doch die angeblichen Gespenster im alten Herrenhaus erweisen sich als Scharade, die von Willing und seinem Helfershelfer inszeniert wurde.