T O D S P A N N U N G

 Raum für phantastische und serielle Spannungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts von Robert N. Bloch und Mirko Schädel

Joseph Delmont: »Der Ritt auf dem Funken«, 1928

von Mirko Schädel


Joseph Delmont: Der Ritt auf dem Funken, Berlin: Otto Janke 1928, 348 Seiten, Schutzumschlag mit unleserlicher Signatur


Joseph Delmont, das ist Joseph Pollak, 1873–1935, war ein österreichischer Regisseur und Schriftsteller, Tierfänger und Akrobat, der eine Reihe von unterhaltenden Romanen veröffentlichte.

Delmonts Buch Der Ritt auf dem Funken ist eine bizarre Komödie, die ebenso der Science fiction wie dem Abenteuer- und Kriminalroman zuzurechnen ist. Während der Anfang des Romans etwas holprig ist, zeigt sich der Mittelteil von seiner besten Seite um dann in einer mehr als peinlichen, patriotischen Lobhudelei auf die Heldin zu gipfeln. Das Ende des Romans ist bei weitem der uninteressanteste Teil, der den zeittypischen, hyperventilierenden Stil der 1920er Jahre imitiert und nur aus einer Aneinanderreihung von schier endlosen Aufzählungen der gr0ßartigen Erfolge unserer Protagonistin zeugen.

Der Roman beginnt im Stil einer Komödie, denn das fünfzehnjährige Mädchen Aloisia »Loisl« Hacker hat von ihrem Großvater den technischen Erfindungsgeist geerbt, so daß die junge Dame sich bei allerlei technischen Fachschulen bewirbt – wie man sich denken kann – ohne jeden Erfolg. Diese lächerliche Ablehnung von weiblichen Schülern der technischen Schulen und Universitäten führt zu Aloisia Hackers nachvollziehbaren Widerstand. Sie beschließt sich eine neue, männliche Identität zuzulegen, wobei ihr Vormund, denn sie ist Waise, behilflich ist. Pfleiderer, Aloisias Vormund, ist verliebt in das blutjunge Mädchen und stiehlt einen unbeschriebenen Heimatschein, darüberhinaus sorgt er für eine Gelegenheit, so daß Aloisia einen Geburtsschein stehlen kann, um so die beiden Dokumente nach ihrem Gusto fälschen zu können. Danach staffiert sich Aloisia mit Kleidern aus, die nur junge Männer zu tragen pflegen.

Aloisia alias Alois Hacker erhält einen Studienplatz am Technikum einer deutschen Stadt in Sachsen, wo sie künftig als junger Mann erfolgreich ihr Studium absolviert. Schon bald emanzipiert sich Hacker vom Schulbetrieb, denn ein verhältnismäßig junger amerikanischer Professor wird am Technikum seine Lehrtätigkeit aufnehmen, und dieser Professor hat seit Jahren an einer Erfindung gearbeitet, die er aber bisher nicht erfolgreich abschließen konnte und deshalb zum Gespött der akademischen Welt der USA geworden ist.

In Deutschland arbeitet der Professor weiter an seiner Erfindung, und Alois Hacker nimmt Kenntnis von seinen Versuchen. Hacker beginnt sich mit der Idee des Professors vertraut zu machen und mietet eine Werkstatt in der Stadt um dort ungestört experimentieren zu können. Dabei vernachlässigt sie ihre Gesundheit, doch dieses Opfer ist angesichts ihrer epochalen Erfindung nur eine läßliche Sünde. Hacker bricht ihr Studium am Technikum nach zwei Jahren ab und kümmert sich ausschließlich um ihre privaten Studien. Das nötige Geld erhält sie von ihrem Vormund, der langsam einsieht, daß sein Mündel eine geniale Erfinderin ist.

Hacker ist seit Beginn ihres Studiums spurlos aus ihrer Heimatstadt Graz verschwunden, so daß das Gerücht entsteht, daß der verliebte Vormund sein Mündel verführt und anschließend ermordet habe um alle Spuren seines Verbrechens zu beseitigen. Aloisias Vormund wird als Frauenmörder und Sittenstrolch polizeilich verfolgt und ist demzufolge ebenso flüchtig, wie Aloisia Hacker. Aloisia fürchtet sich vor Entdeckung ihres wahren Geschlechts – die ersten zwei Jahre ihres Exils vor allem, weil sie sonst ihr Studium als Mädchen nicht hätte fortsetzen dürfen, später dann aus Scham vor ihrem eigenen Betrug.

Aloisia Hacker kultiviert nach und nach ihre bahnbrechenden Erfindungen, dabei stört sie auch noch den weltweiten Funkverkehr, was zu weiterer polizeilicher Verfolgung Anlaß gibt. Tatsächlich aber haben sich Aloisia Hacker und ihr Vormund lediglich eine relativ harmlose Urkundenfälschung zuschulden kommen lassen – damit das Mädchen ihr fachspezifisches Studium durchführen konnte, was ihr sonst verwehrt gewesen wäre. Doch die trottelige Polizei und einige berühmte Detektive sind fortwährend den vermeintlichen Verbrechern auf der Spur.

Während Hacker sich in Königswusterhausen in einer alten leerstehenden Villa eingemietet hat und mit dem amerikanischen Professor an der Vervollkommung ihrer Erfindungen arbeitet, ist ihr Vormund stetig unter falschem Namen auf der Reise quer durch Europa bis nach Amerika – immer auf der Flucht vor möglichen Häschern. Um die Arbeit seines Mündels nicht zu gefährden, entzieht er sich des polizeilichen Zugriffs. Seine Verliebtheit für Aloisia ist einem Respekt gewichen, seine Heiratsabsicht verflogen. Am Ende ist Pfleiderer seinem Mündel Aloisia noch dankbar, denn seine Flucht hat den langweiligen Spießer hinaus in die Welt getrieben und das Leben eines Abenteurers führen lassen.

Die Erfindungen von Aloisia Hacker sind zahlreich. Vor allem die Erfindung des fliegenden Menschen ist bemerkenswert. Aloisia entwickelt einen Apparat, der es einem Menschen ermöglicht die Schwerkraft zu besiegen und auf Funkwellen durch den Äther zu fliegen in einer Geschwindigkeit, die an heutige Düsenflugzeuge erinnert. Am witzigsten finde ich eine ziemlich präzis beschriebene Erfindung Aloisias, die an ein klappbares Mobiltelefon erinnert, und einen mobilen Fernseh-Sprechapparat. der in etwa dem heutigen Smartphone entspricht. Darüberhinaus kann die Erfinderin die elektrischen Funkwellen im Äther derart manipulieren, daß sie das Wetter maßgeblich nach ihren Vorstellungen verändern kann. Aloisia kann es regnen lassen und auch bestimmen zu welcher Zeit der Niederschlag stattfinden soll, sie kann aber ebenso die Wolkendecke verschwinden und die Sonne scheinen lassen. Damit ist sie auch in der Lage die Agrarindustrie zu revolutionieren.

Nachdem Aloisia ihre Erfindung so perfektioniert hat, daß sie auch den Ansprüchen der persönlichen Sicherheit gerecht wird, hebt sie mit ihrem Apparat ab und fliegt quer durch Europa, wo sie sich den Menschen in den Metropolen zeigt und Botschaften aus Papier vom Himmel regnen läßt. Nachdem ihre vorgetäuschte Identität enttarnt wird, gilt der Haftbefehl ihres Vormunds Pfleiderer als aufgehoben. Gleichzeitig verliebt sich Aloisia in den amerikanischen Professor, der ihre Arbeit tatkräftig unterstützt.

Am Ende kreist Aloisia noch einmal über den europäischen Hauptstädten und streift den Weltraum. Sie wartet auf politische Entscheidungen, die ihr Straffreiheit zusichern sowie die Möglichkeit weitere technische Erfindungen machen zu dürfen. Im Gegenzug will Aloisia Hacker ihre Erfindungen dem österreichischen Staat vermachen, der diese zum Besten der Menschheit auswerten soll. Auch die Einheit Österreichs und Deutschlands liegen Aloisia am Herzen – und tatsächlich vereinigen sich die beiden Staaten in der Euphorie des Augenblicks.

Der tatsächliche Reiz dieses Romans liegt in der komödiantischen Aufbereitung dieser reichlich naiven Erzählung, die von einigen wenigen Nebenfiguren und den Haustieren des Vormunds Pfleiderer getragen werden – und natürlich einer weiblichen Heldin, die das Geschlecht wechseln muß um ihren Lebenstraum erfüllen zu können. Das patriotische Pathos gegen Ende des Romans ist eine eher geistferne und unlustige Aufzählung von Gigantismen, die Aloisia als globale Halbgöttin erscheinen lassen soll, die mit ihren Erfindungen paradiesische Zustände auf der Welt schaffen werden wird.

Wenn Delmont gewußt hätte, wieviel Ungemach das Vielfliegen und das smarte Mobiltelefon bislang verursacht haben, würde er sich womöglich im Grabe umdrehen – von paradiesischen Zuständen ist die Welt heute mehr denn je entfernt. Dieser fragwürdige Optimismus, durch fortschreitende Technik alle Probleme der Menschheit lösen zu können, entspricht wohl der naiven Perspektive eines FDP-Wählers – mich überzeugt dies keineswegs. Immerhin hat mich das Buch zu zwei Drittel amüsiert und gelegentlich angenehm überrascht, doch von einem wirklich guten Buch erwarte ich etwas mehr.

Interessant ist noch, daß Joseph Delmont in diesem unbestrittenen Science fiction-Roman über weite Strecken das Konstrukt eines Detektivromans nutzt, das wie ein unzulängliches Korsett für Spannung sorgen soll. Tröstlich ist auch der gutgemachte Schutzumschlag, und die breitrandige Widmung des Autors auf dem fliegenden Vorsatz, das sind Umstände die mich als Sammler versöhnlich stimmen.